Werde ich vielleicht auch beobachtet?
Das schiesst mir durch den Kopf, während ich vor einer Boutique im Zürcher Seefeld stehe. Mein Blick wandert immer wieder zur gegenüberliegenden Strassenseite. Dort, in einem unscheinbaren Bürogebäude, soll ich Louisa treffen.
Sie wird mich in eine Welt einführen, die ich bisher nur aus Filmen und Krimis kenne.
Ich klingle. Louisa empfängt mich im zweiten Stock. Ihr Auftreten ist professionell: schwarze Hose, dunkles Oberteil, ein dezentes Halstuch als einziger Farbtupfer. Sie wirkt gepflegt, aber unauffällig – genau so, wie man es von einer Detektivin erwartet.
In den Medien ist Louisa als «Miss Marple von Zürich» bekannt. Trotz vieler Interviews wurde sie bei ihren Observationen aber noch nie erkannt. Die Gesellschaft mache es ihr einfach: «Die Menschen nehmen ihre Umgebung kaum noch wahr», sagt sie und demonstriert die typische Smartphone-Haltung. «Alle starren nur noch ins Handy.»
Das Detektivdasein sei aber alles andere als leicht. «Viele geben schnell wieder auf. Man braucht Geschäftssinn und Durchhaltevermögen», erklärt sie. Während des Gesprächs klingelt wiederholt eines ihrer drei Handys. Die Detektivin ist gefragt.
Rund 70 Prozent ihrer Kundschaft sind Frauen. Die Fälle drehen sich um Eifersucht, Affären und Seitensprünge – aber auch um die Suche nach vermissten Personen. Manchmal verschwinden Partner einfach so, von heute auf morgen. Die Detektivin hat so manches Doppelleben aufgedeckt. In solchen Verdachtsfällen wenden sich die Klientinnen lieber an eine Frau.
Wie die Detektivin ihre Fälle löst, werde ich hautnah miterleben. Louisa verspricht, mich bei ihrer nächsten Observation mitzunehmen.
An einem Mittwoch ruft Louisa an. Sie habe einen Auftrag erhalten, bei dem ich dabei sein könne. «Eine Minderjährige verschwindet regelmässig ohne Erlaubnis übers Wochenende. Wohin, will sie den Eltern nicht verraten.» Die Detektivin soll es herausfinden.
Zwei Tage später ist es so weit. Kurz nach 11 Uhr stehe ich an der verabredeten Adresse. Ohne ersichtlichen Grund vor einer Schule herumzustehen, ist unangenehm. Mein Handy klingelt. «Planänderung», Louisa hat bereits die Verfolgung der Zielperson aufgenommen. Ich soll zu einem Migros-Restaurant kommen.
Unauffällig wartet Louisa dort an einer Kreuzung. Wie eine normale Passantin. «Das Mädchen ist im Obergeschoss», informiert sie mich knapp. Wir beobachten und warten. Niemand schenkt uns Beachtung. Niemand bemerkt die Detektivin.
«Menschen erinnern sich selten an Gesichter, eher an Details – eine Tasche, eine Mütze. Deshalb tausche ich diese oft aus», erklärt sie und steckt ihre Handtasche in einen anderen Beutel. Ein einfacher Trick – und doch erschreckend effektiv. Auch andere Accessoires wie Perücken oder Schals helfen dabei, unauffällig zu bleiben.
Und wenn man angesprochen wird? Für solche Fälle hat Louisa immer eine Ausrede parat. In der Branche nennt man diese Notlügen «Legenden».
«Oft habe ich bei Observationen zur Tarnung eine Hundeleine dabei. Falls mich jemand anspricht, behaupte ich einfach, meinen Hund zu suchen – das funktioniert immer.» Dank solcher Tricks, sagt Louisa, sei sie noch nie «verbrannt» – also nie enttarnt – worden.
Die Detektivin erzählt mir von den Eltern des Mädchens. Sie hätten versucht, ihre Tochter selbst zu beschatten – und seien dabei aufgeflogen. Seitdem sei die Jugendliche misstrauisch, aufmerksam, immer auf der Hut. «Observationen auf eigene Faust sind immer eine dumme Idee», sagt Louisa. «Es geht meistens schief – und das macht es für uns nur noch komplizierter.»
Sie zeigt mir auf ihrem Smartphone ein Foto der Zielperson. «Wenn wir ihr folgen, müssen wir unauffällig bleiben. Einer geht vor ihr, der andere hinter ihr – und wir wechseln regelmässig die Position. Über Handy und Kopfhörer halten wir uns unbemerkt auf dem Laufenden.» Wie im Film.
Die Observation zieht sich hin. Keine Spur von der Jugendlichen. Louisa schlägt vor, dass ich mir die Umgebung ansehe, während sie die Stellung hält. Ich laufe um das Restaurant, halte Ausschau – und entdecke zwei weitere Ausgänge. Keine gute Nachricht. Als ich zurückkomme, runzelt Louisa die Stirn. «Das macht es schwierig. Sie könnte längst unbemerkt verschwunden sein.»
Die Detektivin entscheidet sich für einen Kontrollgang. Sie geht ins Restaurant und kommt kurz darauf zurück. Die Jugendliche ist entwischt. Aber Louisa bleibt ruhig: «Wir versuchen es nach Schulschluss nochmal.»
Das verschafft uns Zeit für eine Pause. In einem nahegelegenen Café erzählt mir Louisa von ihrer Vergangenheit. Auf Wunsch ihres Vaters besuchte sie eine Bäuerinnenschule, arbeitete später als Fotografin und in der Optikbranche. Doch ihr Gerechtigkeitssinn trieb sie nach ihrer Pensionierung zur Detektivarbeit. «Ich wollte nicht einfach nur herumsitzen. Also habe ich meine Pensionskasse in meine Ausbildung und in das Geschäft investiert.»
Doch nicht nur ihr Gerechtigkeitssinn, sondern vor allem ein persönliches Drama haben sie zur «Miss Marple von Zürich» gemacht.
Louisa erzählt von ihrem allerersten Fall. Sie ermittelte in eigener Sache – noch bevor sie Detektivin wurde. Ihr Ex-Freund verhielt sich merkwürdig. Sie vermutete eine Affäre – er stritt es ab. Louisa wollte die Wahrheit wissen. «Also setzte ich mich mit einem Feldstecher in ein Maisfeld und beobachtete sein Haus. Nach Stunden des Wartens hatte ich Gewissheit: Er war nicht treu.»
So enden auch viele ihrer Fälle. «Bei etwa 95 Prozent stimmt der Verdacht meiner Klienten», schätzt Louisa. Auf ihrer Website steht, dass die Detektivin «der Wahrheit verpflichtet» ist. Aber sie gibt auch offen zu: «Es tut unglaublich gut, Betrüger auffliegen zu lassen. Der Beruf hat eine Berechtigung, solange die Leute nicht ehrlich sind.»
Heiligt der Zweck wirklich die Mittel? Wann wird Beschattung zu Stalking? Wie weit darf man im Leben eines Menschen herumschnüffeln, nur weil jemand dafür bezahlt?
«Ich muss mich an die Gesetze halten und trotzdem tief in die Privatsphäre der Menschen eindringen. Nur so finde ich die Wahrheit», sagt Louisa dazu. In ihrem Portemonnaie trägt sie einen Detektiv-Ausweis. Sie hat die Karte nach ihrer Ausbildung zur Privatdetektivin erhalten. Doch der Ausweis verleiht ihr keine Sonderrechte.
Eine staatliche Ausbildung für Detektive gibt es in der Schweiz nicht. Für Louisa gelten die gleichen Rechte und Pflichten wie für jeden anderen Bürger. Darum gibt es auch keinen besonderen Schutz. «Ich habe immer Pfefferspray dabei», sagt Louisa. «Zum Glück ist noch nie etwas passiert.» Ihr ist bewusst, dass ihr Job ein riskantes Geschäft ist. Einmal entlarvte sie einen Steuerhinterzieher. Er verlor daraufhin seinen Job. «Der hat jetzt bestimmt einen Hass auf mich», bemerkt sie trocken.
Sie gibt sich abgebrüht – für Louisa zählt nur ihre Kundschaft. Für sie legt sie sich voll ins Zeug. Ein besonders komplexer Fall dauerte einmal ein halbes Jahr. «Man sammelt kleine Puzzleteile, bis sich ein Bild daraus ergibt.» Die Detektivin liebt es, Menschen scheinbar belanglose Details zu entlocken. «Die Leute sagen, ich sei wie Inspektor Columbo».
Der Nachmittag vergeht. Rechtzeitig vor Schulschluss machen wir uns auf den Weg zur Schule des Mädchens. Die Jugendliche taucht nicht auf. Louisa entscheidet, zum Wohnort der Familie zu fahren.
Ich gehe mit. Ihr Auto ist Louisas mobile Einsatzzentrale: Verkleidungen, Decken, mehrere Jacken und Mäntel. Sonnenschutz-Blenden an den Fenstern. Wenn nötig, kann die Detektivin hier stundenlang regungslos ausharren.
Wir kommen in einer guten Gegend in Stadtnähe an. In einem Café warten wir auf eine Nachricht der Auftraggeber. Sie hatten versprochen, sich zu melden, sobald ihre Tochter nach Hause kommt. «Dann reisen wir dem Mädchen mit dem öffentlichen Verkehr hinterher», sagt Louisa. Sie kennt die Bushaltestelle genau – sie hat die Gegend letzte Woche erkundet.
Doch die Jugendliche kommt an diesem Abend nicht nach Hause – erst am Sonntag wird sie wieder auftauchen. Louisa erklärt die Observation für beendet. «Erfolge kann man nicht erzwingen», sagt sie. «Die meisten Fälle brauchen mehrere Einsätze.»
So ist es auch bei diesem Auftrag. Ich frage zwei Wochen später bei Louisa nach. Ergebnis: Die Jugendliche verbringe ihre Wochenenden heimlich bei ihrem Freund im Kanton Aargau.
Der Fall ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Die Eltern möchten, dass Louisa auch den Namen und die Adresse des Freundes herausfindet.
Der Fall bleibt derselbe, die Zielperson wechselt. Jetzt wird der Freund beschattet.
Ok, damit kann ich ja noch leben. Nun beschattet sie hier ein minderjähriges Mädchen, das unehrlich ist. So weit, so gut. Wie aber ist damit die Beschattung des Freundes und das Ausfindigmachen seiner Privatdaten zu erklären? Das finde ich doch schon eher fragwürdig.
Und an die Eltern: Eure minderjährige Tochter verschwindet regelmässig über längere Zeit. Das ist kein Job für eine Privatdetektivin, das ist ein Job für die Polizei.