Schweiz
Wirtschaft

Mehr Freizeit oder mehr Burn-outs? Kontroverse um neue Homeoffice-Regeln

Mehr Zeit für Kinder oder mehr Burn-outs? Kontroverse um neue Homeoffice-Regeln

Bürgerliche Politiker versprechen sich eine bessere Work-Life-Balance, Gewerkschaften befürchten mehr Stress: Was taugen die Vorschläge für Homeoffice-Regeln?
17.02.2025, 06:14
Kari Kälin / ch media
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Man begleitet am Morgen die Kinder zur Kita, schnürt am Nachmittag die Joggingschuhe, bringt den Nachwuchs wieder ins Bett – und beantwortet danach einige Geschäfts-E-Mails: Homeoffice macht es möglich. Und die Telearbeit gewinnt an Terrain. Mittlerweile verrichten mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen ihre Arbeit gelegentlich oder regelmässig in den eigenen vier Wänden. Zu Zeiten vor der Pandemie waren es noch ein Viertel.

Homeoffice
Gewerkschaften befürchten mehr statt weniger Stress durch angepasste Homeoffice-Regeln.Bild: Shutterstock

Wer sich morgens und abends um die Kinder kümmert und am Nachmittag Sport treibt, könnte jedoch mit dem Arbeitsgesetz in Konflikt geraten, falls sich diese Aktivitäten nicht innerhalb von 14 Stunden unter einen Hut bringen lassen. So lange dauert die maximale Zeitspanne für die tägliche Arbeit, also zum Beispiel zwischen 7 und 21 Uhr. Eine Mehrheit der nationalrätlichen Wirtschaftskommission schlägt deshalb Gesetzesänderungen vor. Das sind Kernpunkte:

  • Bei Homeoffice wird die tägliche Arbeitszeitspanne von 14 auf 17 Stunden ausgedehnt.
  • Die Ruhezeit beträgt 9 anstatt 11 Stunden. Ein kurzer Blick auf die Mailbox gilt nicht als Unterbrechung der Ruhezeit.
  • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Zeit zu einem grossen Teil selber einteilen können, brauchen keine Bewilligung für freiwillige Sonntagsarbeit in der eigenen Wohnung. Dies gilt für maximal neun Sonntage pro Jahr mit jeweils höchstens fünf Stunden Arbeitszeit.
  • Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz im Geschäft anbietet, kann er mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, dass er die Kosten für Auslagen zu Hause selber übernehmen muss, zum Beispiel für Büromaterial.

Am Montag ist die Vorlage in der Wirtschaftskommission des Nationalrats traktandiert. Die bürgerliche Mehrheit verspricht sich eine bessere Work-Life-Balance.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund gewinnt dem Homeoffice durchaus Vorteile ab, sofern es unter Mitwirkung des Arbeitnehmenden gestaltet werde. Die Revision des Arbeitsgesetzes lehnt er aber vehement ab, wie zum Beispiel auch die Gesellschaft für Arbeitsmedizin der Ärztevereinigung. In einem Brief an alle Mitglieder der Wirtschaftskommission warnt der Gewerkschaftsbund vor vermehrten krankheitsbedingten Absenzen, längeren Ausfällen und Burn-outs – als Folge des zunehmenden Stresses, der gerade durch Homeoffice generiert werde, mit der damit einhergehenden Vermischung von Arbeit und Freizeit.

Besonders die «Abschaffung der Sonntagsruhe», die Ausweitung der Arbeitszeit auf 17 Stunden und die kürzere Ruhezeit sind dem Gewerkschaftsbund ein Dorn im Auge. «Dies hätte negative Auswirkungen auf die Gesundheit, das Sozialleben und das Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz», sagt Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Gewerkschaftsbundes.

«Und dieser Gummibegriff der kurzen Arbeitsleistung, welche man jederzeit machen darf oder besser muss – was heisst das genau? Ein E-Mail beantworten? Oder zwei? 15 Minuten mit dem Chef um Mitternacht telefonieren?»

Cirigliano kritisiert einen weiteren Aspekt: Der Arbeitgeber könne mit einem Telearbeitsvertrag Arbeitsauslagen und Spesen auf die Angestellten überwälzen. «Die Büchse der Pandora wäre offen», sagt er. Der Gewerkschaftsbund werde diese Gesetzesänderungen bekämpfen.

FDP-Präsident weist Einwände zurück

FDP-Präsident Thierry Burkart reagiert mit Kopfschütteln auf die Einwände von links. «Diese Behauptungen sind samt und sonders völlig falsch», sagt der Aargauer FDP-Ständerat, der den entsprechenden Homeoffice-Vorstoss noch vor der Coronapandemie einreichte.

Thierry Burkart
Thierry Burkart sieht Vorteile für Arbeitsnehmende.

Burkart betont, er halte nicht ein Plädoyer für mehr Homeoffice, sondern wolle das Gesetz der Realität anpassen – und zwar zugunsten der Arbeitnehmer:

«Damit können sie Beruf und Familie besser vereinbaren, ohne dass sie etwas Illegales tun, weil sie abends noch kurz eine Nachricht beantworten oder am Sonntag eine Stunde lang für eine Präsentation am Montag aufwenden.»

Es sei bizarr, den Vorstoss als ausbeuterisch darzustellen. Es werde niemand gezwungen, einen Vertrag mit den Homeofficeregeln zu unterzeichnen. Zudem können die Arbeitnehmer im Homeoffice ihre Arbeitseinteilung selber festlegen und nicht dazu gezwungen werden. Burkart weist ebenso den Einwand zurück, Arbeitgeber könnten Auslagen im grossen Stil auf die Angestellten überwälzen. «Das ist nicht möglich. Es gibt dazu sogar eine Rechtsprechung des Bundesgerichts.» (aargauerzeitung.ch)

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105 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sensasix
17.02.2025 06:53registriert Januar 2014
Tatsache ist, dass das schon längstens von vielen im Homeoffice so gelebt wird, Regulierung hin oder her. Und ob 9h im Büro vor dem Rechner sitzen um sich dann in die volle S-Bahn zu quetschen, zu Hause dann möglichst schnell zu kochen und allen anderen Haushalts- und Familienaufgaben nachzukommen tatsächlich gesünder sind als ein durchbrochenner "Familien Home Office Tag" der halt mal über die 14 Stunden geht sei mal dahingestellt... Was ich hingegen sinnvoll finde sind E-Mail- / Kommunikationssperren zwischen 18-7 und an den Wochenenden, dann klappt das auch mit dem selbstbestimmt sein.
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Sor diac
17.02.2025 06:47registriert März 2014
Wenn die Bürgerlichen es wollen, geht es es ganz bestimmt nicht um Work Life Balance, sondern um Geld.
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Claire Z
17.02.2025 06:46registriert September 2024
Ich oute mich als jemand, der ab und zu am Sonntag im Homeoffice arbeitet, wenn ich unter der Woche frei genommen hatte. Meinem Arbeitgeber ist es egal, wofür ich dankbar bin. Wen vertreten eigentlich diese Gewerkschaften, die mir das verbieten wollen? Sicher niemand, der im Homeoffice arbeitet.
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